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Ein fehlender Teil von uns

28. Juli 2021

Vertraute Menschen - dazu ein Stadtbild mit hohen Kirchtürmen. Beides sind feste Größen für unser Heimatgefühl. Sie kennen das bestimmt: Nach einem Ausflug oder einer langen Reise sieht man von weitem die Kirchtürme von Duderstadt, und man bekommt sofort ein wohltuendes Heimatgefühl. Ich glaube, es bedarf dafür keines christlichen Bekenntnisses, um dieses heimelige Gefühl zu erlangen.

Bertha Rosenbusch, Anneliese Rosenberg, Bodo Löwenthal, und Norbert Israel – allesamt Mitglieder der neuzeitlichen jüdischen Gemeinde Duderstadts – verspürten ganz bestimmt auch dieses schöne Gefühl beim Betrachten der christlichen Kirchtürme. Es sind nur vier Personen von einer insgesamt bis zu 85 Mitgliedern zählenden jüdischen Gemeinde. Von 1812 bis 1942 gab es hier in Duderstadt dieses jüdische Gemeindeleben. Menschen, wie Sie und ich – mit all ihren Sorgen aber auch freudigen Momenten. Sie besaßen eine Synagoge, ein Gemeindehaus und eine Schule – alles das, was für eine religiöse Gemeinschaft notwendig ist. Halt, nicht ganz! Die Verstorbenen wurden 59 Jahre lang auf einer Viehweide bestattet. Ja, der Begräbnisort lag auf einem Acker. Kühe trampelten die Gräber nieder. Auf Ersuchen des jüdischen Gemeindevorstehers Moritz Katz beim städtischen Magistrat wurde aus der Viehweide eine eingefriedete Begräbnisstätte. Ein Friedhof, den es jetzt seit 150 Jahren gibt. In der NS-Zeit wurde dieser geschändet, die Grabsteine zerstört und eingeebnet. Heute ist er ein Erinnerungsort an die Grausamkeiten, die jüdische Duderstädter Bürger von 1933  bis 1942 erleiden mussten.

Norbert Israel – ein kleiner Junge, gerade mal zehn Jahre jung – wurde im März 1942 aus unserer Stadt ins Warschauer Ghetto deportiert und ermordet. Nächstes Jahr würde er 90 Jahre alt werden. Vielleicht würde Norbert Israel heute auf der Segensbank am historischen Rathaus verweilen und wir würden ihn freundlich grüßen und ihm einen schönen Tag wünschen.

Bewahren wir diese jüdischen Mitbürger in unseren Herzen, auch wenn wir sie nie kennenlernen durften. Sie gehören zu Duderstadt – zu unserer Heimat.

Ihr

Jürgen Sczuplinski
Kirchenvorstand an St. Servatius