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Ein weißer Ort der Besinnung

23. Mai 2022

Können Sie, liebe Gemeindeglieder, unsere St. Servatiuskirche verstehen? Natürlich hat unser Kirchengebäude keine sprechenden Steine, aber das Verstehen beginnt mit dem, was man sieht - und unser gotisches Gotteshaus hält viele Hinweise zum Verstehen für uns bereit. Strahlend leuchtendes und buntes Fensterglas mit biblischen Motiven, viele Spitzbögen mit den Übergängen in das Deckengewölbe, eine Innenausstattung im ausgehenden Jugendstil und noch vieles mehr. Aber natürlich ist unsere Kirche auch ein Ort des Betens und der Besinnung. 

Nun gibt es in der Nachbarstadt Göttingen eine Kirche, die mit ihrer Schlichtheit genauso beindruckend schön und aussagekräftig ist. Es ist die katholische Citykirche Sankt Michael, am Ende der Fußgängerzone gegenüber dem Wochenmarkt. Dieses Gotteshaus ist geprägt von reduzierten und klaren Formen. Der Altar ist aus weißem Marmor gefertigt. Die Wände sind weiß gestrichen, die Bänke weiß gekälkt. Es gibt nur drei Darstellungen in dieser Kirche. Das Kreuz im Altarraum, eine Ikone in der seitlichen Marienkapelle und am Eingang eine Skulptur von Edith Stein (1891-1942). Sie war Jüdin und studierte in Göttingen. In einem Tagebucheintrag von ihr steht, dass sie eines Abends mal vor dem verschlossenen Hauptportal dieser Kirche stand. Später wurde Edith Stein katholische Nonne. In Auschwitz wurde sie ermordet. Ihre Heiligsprechung erfolgte dann durch Papst Johannes Paul II.

Die Sankt Michael Kirche und unsere St. Servatiuskirche haben, trotz verschiedener Glaubensrichtungen, irgendwie auch etwas Gemeinsames. Sankt Michael wurde im Jahr 1789 das erste katholische Gotteshaus in Göttingen. In nur dreißig Kilometern Entfernung - und neunzehn Jahre später - wurde unser Gotteshaus dann das erste evangelische Gotteshaus in Duderstadt.

Wenn Sie mal wieder in Göttingen sind, dann gönnen Sie sich eine kleine Auszeit an diesem besonderen weißen Ort.

Ihr

Jürgen Sczuplinski
Kirchenvorsteher an St. Servatius