Im Sommer war ich manchmal für ein paar Tage bei Oma Lieschen, statt Urlaub sozusagen. Hinter dem Haus lag eine wunderbare Wildblumenwiese. Davor der Obst- und Gemüsegarten, der die Familie einst durch die bitteren Kriegsjahre gerettet hatte.
„Heute kochen wir den Sommer ein!“ Mit diesen Worten drückte sie mir einen kleinen Eimer in die Hand und schickte mich zu den Johannisbeersträuchern. Schwarze und rote gab es, wobei die roten eindeutig besser schmeckten.
Dann wurde Marmelade gekocht. Süßlich duftender Dampf stieg auf. Ich sehe sie heute noch da stehen an ihrem alten Kohleherd, mit dem Holzlöffel in der Hand und der abgenutzten Schürze um den Bauch. Warum stellt man sich an einem sonnigen Sommertag noch zusätzlich in die Küche, noch dazu an einen heiß brodelnden Marmeladentopf?
„Auch das ist Kunst, ist Gottesgabe,
aus ein paar sonnenhellen Tagen,
sich so viel Licht ins Herz zu tragen,
dass, wenn der Sommer längst verweht,
das Leuchten immer noch besteht.“
Das schrieb der große Johann Wolfgang Goethe. Bei meiner kleinen Oma Lieschen ging es nicht ganz so poetisch zu. Dennoch: Sie hatte diese Gabe, ganz lebenspraktisch und geerdet: den Sommer einzusammeln, so dass er auch im Winter noch die Seele nährt. „Dann haben wir im Winter was Feines!“, sagte sie. Und in ihren Augen leuchtete die Vorfreude. An irgendeinem grauen Wintertag würde sie diese Marmelade öffnen und dann, das wusste sie genau nach all den vielen Lebensjahren, würde es nach Sommer schmecken.
Wenn ich heute Marmelade koche, manchmal abends nach einem heißen Sommertag, gibt es diesen einen magischen Moment, wenn der süßlich duftende Dampf aufsteigt. Mir ist als stehe ich wieder mit Oma Lieschen in der Küche, wo es nach warmen Früchten und Zuhause riecht.
Christina Abel